Die Fliege ist ein Schmetterling
26.02.2011. Märkische Allgemeine Zeitung
Samstagsinterview Jürgen Stanges handgefertigte Schleifen kleiden Juristen, Professoren und Künstler – Handarbeit aus Ruhlsdorf
Ob Max Raabe, Minister zu Guttenberg, Jörg Schönbohm oder Alfred Biolek – sie alle hatten schon ein Produkt aus der Manufaktur „Stange Berlin“ um den Hals.
Mit Inhaber Jürgen Stange sprach Ulrich Wangemann.
MAZ: Krawatten, Schleifen und Westen aus Seide, in Deutschland genäht. Wie rechnet sich das?
Jürgen Stange: Man darf nur mit hochwertigen Produkten im oberen Preisbereich handeln. Es muss exklusiv sein, um sich von der Masse, die zu 90 Prozent aus asiatischen Ländern kommt, abzuheben.
Die klassische Krawatte kostet bei Bekleidungsketten nur noch 14,99 Euro.
Stange: Dagegen haben wir gar keine Chance. Die Chinesen arbeiten fast für eine Handvoll Reis, wir haben Lohn und Lohnnebenkosten. Wir bieten viel Service. Für große Kunden können wir die Krawatten länger machen, die Schleife etwas breiter für einen starken Menschen. Mit der handgebundenen Schleife haben wir uns eine Nische gesucht, die der Chinese mit seiner Massenproduktion nicht decken kann. Das geht nicht in 1000er-Stückzahlen. Wir machen am Tag 200 Stück, Krawatten 40 bis 50. Westen, Schals, Einstecktücher und Kummerbunde ebenfalls in kleinen Stückzahlen.
Sie sagen Schleife, die meisten Menschen würden Fliege sagen. Wo ist der Unterschied?
Stange: In Frankreich, England und Italien sagt man Schmetterling, nur Deutsche benutzen das Wort Fliege. Schleife klingt schöner.
Wer trägt Schleifen?
Stange: Neuerdings wieder junge Leute. Klassische Kunden sind Architekten, Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Professoren, Künstler. Der kanadische Botschafter etwa trägt von uns sehr breite Schleifen. Ein witziger Künstlertyp. Es passt zu ihm.
Wer sind ihre prominentesten Kunden?
Stange: Max Raabe haben wir schon in unserem Haus bedient, Talkmeister Alfred Biolek und der Meteorologe Uwe Wesp haben Schleifen von uns. In Brandenburg hat Jörg Schönbohm uns besucht und eine Schleife gekauft, die nach Kragenweite gefertigt war. Er trug sie gleich auf dem nächsten Presseball. Der ehemalige Bundesregierungssprecher Johnny Klein hatte eine schmale Schleife von uns. Als zu Guttenberg noch Wirtschaftsminister war, trug er eine aus unserer Manufaktur zu den Bayreuther Festspielen. Sie saß ein wenig schief. Der „Spiegel“ bemerkte das kritisch. Die Bild-Zeitung korrigierte den „Spiegel“ daraufhin: Eine schiefe, etwas knuffige Schleife sei wenigstens handgebunden. Die geraden, flachen, vorgebundenen Schleifen stellen doch eine ganz andere kulturelle Situation dar. Träger der Handgebundenen gehören zu einer eingeschworenen, kleinen Gemeinde. Man guckt sich an, nickt sich zu. An den Gerichten etwa haben wir gute Mundpropaganda. Die Kunden nehmen stapelweise Visitenkarten mit.
Auf Ihre Internetseite haben Sie eine Videoanleitung gestellt zum Binden. Sieht einfach aus.
Stange: Es ist einfach der Schnürsenkelknoten. Bloß darf er nicht verdreht werden. Man kann es über dem Schenkel üben, denn vor dem Spiegel hat man zwei linke Hände.
Sie sagen, junge Leute tragen wieder mehr Schleife, woran machen Sie das fest?
Stange: Wir sind Nutznießer der Bankenkrise. Die ganzen arbeitslosen Broker und Banker wollten schnell neue Jobs. Da hieß es dann: Mit Schleife wird man beim Vorstellungsgespräch intensiver wahrgenommen als mit Krawatte. Das schwappt jetzt nach Deutschland. Wir machen bei Schleifen 35 bis 40 Prozent plus. Die Krawatte stagniert dagegen. Uns hilft aber auch der Online-Shop. Den betreiben wir seit einem Jahr und er macht jetzt schon 20 Prozent des Gesamtumsatzes aus.
Sie nennen sich Stange Berlin, sitzen aber in Teltow Ruhlsdorf – ist das stimmig?
Stange: Da gibt es keinen Widerspruch. Mein Vater hat den Betrieb 1934 in Berlin Mitte – Burgstraße gegenüber vom Dom – gegründet. Nach dem Krieg waren wir in Berlin-Wilmersdorf. 1972 habe ich den Betrieb in Zehlendorf weitergeführt, 1993 sind wir nach Teltow rausgezogen, weil wir Platz brauchten.
„Stange Ruhlsdorf“ klingt weniger klangvoll als „Stange Berlin“.
Stange: Weltweit wäre das kein so zugkräftiger Name. Aber wir haben einen tollen Standort hier. Als West-Berliner sind wir – also die Stadt – durch Subventionen am Leben erhalten worden. Ich fühlte nach der Wiedervereinigung eine innere Verpflichtung, etwas zurückzugeben.
Sie trennen nicht strikt zwischen Berlin und Umland.
Stange: Berlin war immer die Hauptstadt von Brandenburg-Preußen. Wenn ich über den Teltowkanal fahre, fahre ich nicht über die Grenze, sondern in meinen Betrieb. Ich bin überzeugt davon, dass es ein Bundesland geben sollte. Ich fühle mich hier sauwohl.
Wie entwickelt sich die Zahl der Angestellten?
Stange: Wir sind jetzt neun, 1993 waren es 25 Angestellte, zu besten Berliner Zeiten schon einmal 45. Da hatten wir aber den doppelten Umsatz im Vergleich zu heute. In China wird billig produziert. Wir mussten Zuschneide- und Nähautomaten für die simplen Arbeiten. Acht Frauen nähen und schneiden zu – die Frauenquote haben wir zu 100 Prozent erfüllt, ich bin der einzige Hahn im Korb.
Wenn Sie am Comer See beim Seidenlieferanten waren, einen Kaffee in Bellagio getrunken haben und nach Ruhlsdorf zurückkommen. Wie geht es Ihnen dann?
Stange: Toll! Früher haben wir in Palazzi am Comer See eingekauft. Da landeten Wasserflugzeuge, die Sonne schien. Es war gefährlich. Man kauft vor lauter guter Stimmung leicht zu viel. In Como regnet es aber oft – die Seide braucht das. Außerdem sind die Betriebe alle in kleinere Fabriken außerhalb gezogen. In der Stahnsdorfer Straße ist es so schön – wir haben jetzt unseren eigenen Palazzo.
Mit Inhaber Jürgen Stange sprach Ulrich Wangemann.